Hört man sich in Fitnessstudios, bei Kraftsportlern oder Bodybuildern oder irgendwo sonst um, wo der Muskelaufbau im Vordergrund steht und als hohes Ziel angesehen wird, wird genau dieser meist als Grund für einen hohen Eiweißkonsum genannt. Kein Wunder, Muskeln bestehen aus Eiweiß und da der Körper nicht aus anderen Nährstoffen Eiweiß produzieren kann, muss es logischerweise zugeführt werden. So weit so gut, doch rechtfertigt der Muskelaufbau tatsächlich die gewaltigen Eiweißmengen, die in diesen Szenen oft propagiert werden? Ich habe mal nachgerechnet.
Ein Anfänger kann im ersten Trainingsjahr ca. 1 Kilo reine Muskelmasse pro Monat aufbauen. Im zweiten Jahr sind es dann schon nur noch rund die Hälfte. Bleiben wir beim Anfänger und teilen das Kilogramm durch 30 um auf den Muskelzuwachs pro Tag zu kommen.
Täglicher Muskelzuwachs (Anfänger) = 1000 g / 30 = 33 g
Die Muskulatur besteht allerdings nur zu 20 % aus Eiweiß. Daher teilen wir die 33 g nochmal durch 5.
Proteinanteil der Muskelmasse = 33 g / 5 = 6,6 g
Der Körper benötigt also, zusätzlich zu den Proteinen für den Muskelerhalt, noch 6,6 g Eiweiß pro Tag für den Aufbau neuer Muskelmasse. Das ist nicht gerade viel im Vergleich zu den Empfehlungen aus Bodybuilding Kreisen. Bevor jetzt aber wieder Stimmen laut werden, diese hohen Eiweißmengen seien nur Propaganda der Supplemente Industrie und Eiweißpulver sei ja sowieso überteuert (mehr dazu hier), seien wir fair und lassen uns diesen Wert nochmal kurz durch den Kopf gehen.
Biologische Wertigkeit
Erstmal müssen wir die biologische Wertigkeit der aufzunehmenden Proteine berücksichtigen. Je ähnlicher ein Protein dem des menschlichen Körpereiweiß ist, desto höher seine BW und desto mehr davon kann zum Aufbau von Muskelmasse verwendet werden. Die biologische Wertigkeit ergibt sich aus folgender Gleichung:
BW = retinierte Stickstoffmenge / absorbierte Stickstoffmenge * 100
In anderen Worten gibt sie das Verhältnis der im Körper verbleibenden Stickstoffmenge zur aufgenommenen Stickstoffmenge an. Die Stickstoffbilanz eignet sich gut zur Beurteilung des Eiweißstoffwechsels, da jede Aminosäure mindestens ein Stickstoff Atom enthält.
Oft wird fälschlicherweise angenommen, eine biologische Wertigkeit von 100 bedeute, der Körper würde das entsprechende Protein zu 100 % Körperprotein umsetzen, eine BW von 80 dementsprechend zu 80 % Körpereiweiß. Das stimmt allerdings NICHT.
Als das Konzept der biologischen Wertigkeit entwickelt wurde, ging man nach Messungen davon aus, das Hühnerei habe die beste Zusammensetzung an Aminosäuren und teilte ihm die Wertigkeit 100 zu. Damit hat das Ei den Status eines Referenzproteins und die biologische Wertigkeit gibt die Ausscheidungsrate von Stickstoff-Stoffwechsel-Endprodukten im Verhältnis zum Hühnerei an. Diese kann gemessen werden oder durch Modelle, die die Aminosäurebilanzen der jeweiligen Proteine analysieren errechnet werden. Werte über 100 bedeuten also nicht, dass mehr Protein im Körper verwendet als zugeführt wird, was auch unmöglich wäre. Wenn man genau ist spricht man bei Werten über 100 allerdings vom Chemical Score (CS).
Die tatsächliche Menge Körpereiweiß, die aus Ei-Protein umgesetzt wird, ist allerdings deutlich geringer als 100 %. Demnach sind auch die daraus abgeleiteten BW von anderen Proteinen nicht mit der entsprechenden Prozentzahl körpereigenes Eiweiß gleichzusetzen. Wie viel genau umgesetzt wird ist schwer zu beantworten und hängt auch von weiteren Faktoren wie z.B. dem Timing der Verdauung ab.
Und auch wenn man misst, wie viel Eiweiß ungenutzt ausgeschieden wurde und damit, wie viel im Körper verblieben ist, weiß man noch nicht wofür dieses Eiweiß genutzt wurde. Wie oben beschrieben, haben Proteine eine Vielzahl von Funktionen im menschlichen Körper und werden somit nur zu einem Teil zum Muskelaufbau verwendet. Ein weiterer zu berücksichtigender Faktor ist, dass Proteine auch zur Energiegewinnung herangezogen werden, wenn die Glykogenspeicher leer sind und gerade nicht genügend Kohlenhydrate zur Verfügung stehen. Ist die Kohlenhydratzufuhr also nicht optimal getimed, wird ein Teil der zugeführten Proteine auch einfach verbrannt. Außerdem kann der Körper pro Mahlzeit nur 20 – 30 Gramm Eiweiß für den Muskelaufbau verwerten. Wird mehr Protein zugeführt, stellt sich ein Plateau bei der Proteinsynthese ein. Wenn das Eiweiß also nicht optimal über den Tag verteilt aufgenommen wird, wird es nicht zum Muskelaufbau herangezogen, sondern für andere Zwecke genutzt. Wer also nicht jede Eiweißportion genau timed, sollte immer etwas “Proteinschwund” einkalkulieren. Dazu zwei Studien: